Finanzen der Krankenkassen im Argen – die Pharmaindustrie soll zahlen

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat in dem nun vorgelegten Gesetzentwurf zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, GKV-FinStG) eine Reihe von Einsparungen im Blick. Vor allem die Pharmaindustrie will Lauterbach darin zur Gegenfinanzierung heranziehen. Diese reagiert "not amused".

ANZEIGE

Nicht nur die hohen Kosten der Pandemiebekämpfung haben dem Gesundheitssystem zugesetzt. Die allgemeine Finanzlage des Bundes sorgt für hektische Betriebsamkeit, Sparpotentiale an jeder erdenklichen Stelle aufzuspüren. Da kommt auch die gesetzliche Krankenversicherung schnell ins Blickfeld, denn der erwartete verminderte Zuwachs bei den Beitragseinnahmen träfe dort auf weiter steigende Kosten: Seit 2020 klaffe deshalb eine wachsende Finanzierungslücke in der GKV. Aktuellen Berechnungen zufolge beträgt sie 17 Mrd. Euro im kommenden Jahr.

Ohne zusätzliche Maßnahmen würde der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz in der GKV dem Bundesge­sund­heitsministerium (BMG) zufolge im Jahr 2023 von derzeit 1,3 Prozent um rund einen Prozentpunkt stei­gen und anschließend aufgrund der Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben jährlich um weitere 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte zunehmen, so die Berechnung, die das "Deutsche Ärzteblatt" zitiert.

Ein Beitragssatzpunkt entspreche dabei rund 16 Mrd. Euro und zumindest dieser Betrag soll nun durch ein Bündel an Maßnahmen eingespart werden, die die Ärzteschaft genauso betreffen wie die Apothekerschaft, die Arznei­mittelindustrie und die Kostenträger. „Diese Lasten müssen auf verschiedene Schultern verteilt werden und können nicht allein den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern auferlegt werden“, heißt es dazu im Gesetzent­wurf.

In einer ersten Analyse sollten demnach rund 1 Mrd. Euro durch Einsparungen der Zahlungen an die Pharmaindustrie erbracht werden, was bei den einschlägigen Verbänden mit Zähneknirschen, aber auch dem Willen zu konstruktiver Erarbeitung einer gemeinsamen "Streichliste" kommentiert worden war. Immerhin klang der Entwurf noch nach einer Lastenverteilung auf alle Schultern. Doch eine aktuelle Nachforderung treibt den "Pharma-Beitrag" wohl nun auf gute 2 Mrd. Euro und damit zumindest dem Vorstand des VFA (Verband der forschenden Arzneimittelhersteller) die Zornesröte ins Gesicht.

"Innerhalb einer Woche werden aus einer Milliarde zwei Milliarden Zwangsabgabe – das sieht der aktuelle Referentenentwurf aus dem BMG für die forschenden Pharma-Unternehmen vor. Was für ein Chaos!" sagt Han Steutel, vfa-Präsident dazu. "Wenn wir vom Bundesgesundheitsminister hören, dass wir einen Sanierungsbeitrag von einer Milliarde Euro zahlen sollen und dann sind es nach einer Woche plötzlich zwei, ist das ein gravierender Vorgang. Das ist inakzeptabel, um es freundlich zu formulieren." Ganz in die Verweigerung gehe man zwar nicht, aber der VFA-Präsident fühlt sich ziemlich düpiert: "Es gibt enormen Reformbedarf im Gesundheitswesen: Das bedarf der konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten. Dieser Entwurf und die Art und Weise der Entstehung ist grottenschlecht. So kann man nicht miteinander umgehen."

Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) stößt sich an den "unglaublich unkreativen" Kürzungsvorschlägen. Statt der in der Pandemie vollmundig tönenden Versprechen zur Stärkung des Forschungs- und Produktionsstandortes folge nun der bekannte Reflex, obwohl die Pharmaindustrie unter dem Preismoratorium von 2009 genug leide und dort die steigenden Produktionskosten der globalen Lieferketten nicht einmal einfließen lassen könne, so der BPI. Selbst bei den Generika gäbe es kein Einsparpotential mehr, vermeldet der Verband ProGenerika, da auch dort durch die steigenden Kosten in den Lieferketten keinerlei Spielräume mehr vorhanden seien.

SIE MÖCHTEN KEINE INFORMATION VERPASSEN?

Abonnieren Sie hier unseren Newsletter